Die weise Entscheidung der UNO

Von Uri Avnery

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Wegen des Lärms erwachte ich aus tiefem Schlaf. Draußen war ein Aufruhr im Entstehen, der von Moment zu Moment anschwoll, aufgeregte Stimmen von vielen Menschen. Es klang wie ein seltener Ausbruch von Freude. Ich streckte die Nasenspitze durch die Tür meines Hotels in Haifa. Begeisterte Menschen teilten mir mit, dass die UN-Vollversammlung soeben die Teilung des Landes beschlossen hatte.

Ich kehrte in mein Zimmer zurück und schloss die Tür. Mir war nicht danach zumute, mich am Jubel zu beteiligen. Es war dies der 29. November 1947, der Tag, der unser Leben für immer veränderte. Warum überkam mich gerade in diesem historischen Moment ein Gefühl von Einsamkeit, Entfremdung und vor allem Trauer? Trauer, da ich das ganze Land liebe – Nablus und Hebron nicht weniger als Tel Aviv und Rosh Pina. Trauer, da ich wusste, dass Blut vergossen werden würde, viel Blut. Doch der primäre Grund hing mit meiner politischen Einstellung zusammen.

Ich war 24. Zwei Jahre zuvor hatte ich mit einigen Freunden einen politisch-intellektuellen Zirkel gegründet, der Stürme der Entrüstung innerhalb der hebräischen Gemeinschaft hervorrief. Unsere Ideen, die große Resonanz erhielten, galten als schwere Ketzerei. Der Kreis „Junges Land Israel", der von Zeit zu Zeit ein Pamphlet namens „Im Kampf" (bekannter unter der Bezeichnung „Gruppe im Kampf") veröffentlichte, hing einer revolutionären Lehre an, deren Grundsätze sich folgendermaßen gestalteten:

Diese Weltanschauung macht uns notwendigerweise zu absoluten Gegnern des Teilungsplans. Vor der Entscheidung der UNO, im September 1947, veröffentlichte ich ein Pamphlet mit dem Titel „Krieg oder Frieden im semitischen Raum", in dem ich einen Gegenplan präsentierte: Die hebräische und die arabisch-palästinensische Nationalbewegung sollten sich zu einer einzigen Nationalbewegung vereinen und im ganzen Land einen gemeinsamen Staat gründen, der auf Liebe zum Land – Patriotismus im wahrsten Sinne – gegründet sein sollte.

Diese Idee war weit entfernt von dem Plan eines „binationalen" Staates, der in jener Zeit Anhänger hatte wie die Magnes-Buber-Gruppe und die Bewegung Hashomer Hatza'ir. Nie habe ich daran geglaubt. Zwei Nationen, die jede für sich einer eigenen nationalen Vision anhängen, können nicht gemeinsam in einem Staat leben. Unsere Vision basierte auf der Konstruktion einer neuen gemeinsamen Nation, die eine hebräische und eine arabische Komponente besitzen würde.

Das Wesentliche des Pamphlets übersetzten wir eilig ins Englische und Arabische, und ich ging persönlich nach Yafo, um es unter den arabischen Zeitungsredaktionen zu verteilen. Yafo war schon nicht mehr so, wie ich es in jungen Jahren gekannt hatte, als ich (als Gehilfe einer Anwaltskanzlei) in den dortigen Verwaltungsbehörden tätig war. Ich spürte eine düstere, bedrückende Atmosphäre.

Im Vorfeld der UN-Resolution beschlossen wir, eine Sonderausgabe von „Im Kampf" herauszubringen, die gegen die Teilung gerichtet sein sollte. Das Titelbild sollte ein Student vom Technion malen, daher war ich in diesem schicksalhaften Moment in einem kleinen Hotel in Hadar Hakarmel. Ich konnte nicht mehr einschlafen. Ich stand auf und schrieb in der Erregtheit des Augenblicks ein Gedicht, das zwei Tage später in der besagten Zeitschrift erschien. Die erste Strophe ging so:

Ich habe Dir geschworen, Heimat
am Tag Deines bitteren Niedergangs –
groß und vereinigt
wirst Du aus der Asche erstehen.
Im Herzen Deiner Söhne brennt
die schlimme Wunde,
bis Deine Fahnen wehen
vom Meer bis zur Wüste.

Einer unserer Freunde schrieb Musik zu dem Gedicht, und wir sangen es in den kommenden Tagen, an welchen wir Abschied nahmen von unseren Träumen.

In dem Moment, da die UN-Resolution verabschiedet wurde, wurde mir klar, dass sich unsere Welt so ändern würde wie nie zuvor, dass ein Zeitalter enden und ein neues beginnen würde, nicht im Leben des Landes, sondern auch im Leben jedes einzelnen von uns. Wir schafften es noch, an die öffentlichen Aushänge ein großes Plakat zu kleben, auf dem wir vor einem „semitischen Bürgerkrieg" warnten, doch war der Krieg schon ausgebrochen. In dem Moment, in dem der erste Schuss fiel, zerbrach für immer die Möglichkeit eines einen gemeinsamen und vereinten Landes.

Ich bin stolz auf meine Fähigkeit, mich schnell an extreme Veränderungen anzupassen. Vielleicht liegt dies daran, dass sich mein Leben auf einen Schlag änderte, als Adolf Hitler in Deutschland an die Macht kam. Ich war damals neun Jahre alt, und alles, was vor diesem Tag passiert war, starb für mich. Ich begann ein völlig neues Leben im Land Israel. Am 29. November 1947 verstand ich, dass mir – und anderen – wieder etwas ähnliches passierte.

Es gibt ein Sprichwort: „Man kann aus einem Ei ein Omelette, aber nicht aus einem Omelette ein Ei machen". Ein banales, aber sehr wahres Sprichwort. In dem Moment, in dem der hebräisch-arabische Krieg ausbrach, starb die Möglichkeit, dass die zwei Völker gemeinsam in einem Staat leben würden. Kriege schaffen eine neue Realität.

Ich ließ mich zu den „Hagana-Einheiten" einziehen, den Vorläufern der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL). Als Soldat eines Spezialkommandos, das man damals „Füchse Simsons" nannte, habe ich den Krieg erlebt, wie er war – hart, grausam, unmenschlich. Wir standen anfangs palästinensischen Kämpfern gegenüber, und dann solchen aus der arabischen Welt. Ich zog durch arabische Dörfer, die im Sturm des Gefechtes verlassen worden waren, und auch durch Dörfer, aus denen man die Einwohner nach ihrer Besetzung vertrieben hatte.

Es war dies ein ethnischer Krieg. In den ersten Monaten blieben keine Araber hinter unseren Linien, und es blieben keine Juden hinter den arabischen Linien. Beide Seiten verübten unzählige Gräueltaten. Zu Beginn des Krieges sahen wir auf Fotos die abgeschlagenen Köpfe unserer Kameraden aufgespießt in der Jerusalemer Altstadt. Wir sahen die von den Etzel- und Lechi-Kämpfern verübten Massaker in Dir-Yassin. In der ersten Hälfte des Krieges wussten wir, dass man uns im Falle der Gefangenschaft schlachten würde. Auch die arabischen Kämpfer wussten, dass dies ihr Schicksal sein würde.

Je länger der Krieg sich hinzog, desto stärker wurde mir bewusst, dass eine palästinensische Nation existiert, mit der man am Ende des Krieges zu einem Frieden gelangen müsste, und dass dieser Frieden auf Partnerschaft zwischen zwei Staaten beruhen müsste. Noch während des Krieges legte ich diese Auffassung in einer Reihe von Artikeln dar, die dann in der Haaretz erschienen. Gleich nach Ende der Kampfhandlungen – ich trug als verwundeter Soldat noch die Armee-Uniform – begann ich zwei junge Palästinenser zu treffen (die später zu Knesset-Abgeordneten wurden), um den Weg zur Verwirklichung dieses Plans zu ebnen. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Bemühungen noch 60 Jahre später voll im Gange sein würden.

Derzeit kommt hier und dort wieder die Idee auf, das Omelett wieder zu einem Ei zu machen, den Staat Israel und den im Entstehen begriffenen palästinensischen Staat aufzulösen, um einen einzigen Staat zu gründen, wie wir damals gesungen hatten: „Vom Meer bis zur Wüste". Dies erscheint als neue und frische Idee, doch hieße dies recht eigentlich, das Rad zurückzudrehen, eine Realität wiederzubeleben, die für immer vergangen ist. In der Geschichte der Menschheit funktioniert dies nicht. Was im Blut und Feuer von Kriegen und Intifada entstanden ist – der Staat Israel und die palästinensische Nationalbewegung -, wird nicht verschwinden, als ob es nie da gewesen wäre. Staaten können von Kriegen zu Frieden und Partnerschaft gelangen, wie Deutschland und Frankreich, aber sie werden nicht aus freiem Willen zu einem einzigen Staat.

Ich bin kein Nostalgiker. Ich blicke zurück auf die Ideen meiner Jugendzeit und versuche zu analysieren, was gewesen ist und was bleibt. Die Ideen der „Gruppe im Kampf" waren zwar revolutionär und kühn – aber waren sie realisierbar? Im Rückblick ist mir klar, dass die Idee eines gemeinsamen Staate schon realitätsfern war, als wir sie entwickelten. Möglicherweise wäre es ein oder zwei Generationen früher möglich gewesen. Aber Mitte der 40er Jahre hatten sich die Dinge schon in eine andere Richtung entwickelt. Es gab keinen andern Weg als die Teilung des Landes.

Ich glaube, dass wir in unserer grundsätzlichen Haltung recht gehabt haben: dass wir uns mit dem Raum, in dem wir leben, identifizieren, dass wir mit der arabischen Nationalbewegung zusammenarbeiten und dass wir eine Partnerschaft mit der palästinensischen Nation aufbauen müssten. Solange wir uns noch als Teil Europas und/oder der USA sehen, können wir nicht zum Frieden gelangen. Umso mehr, wenn wir uns als Soldaten im globalen Kreuzzug gegen die muslimische Kultur und die arabischen Völker sehen.

Ganz wie wir damals, noch vor dem Teilungsplan, gesagt haben: Das arabisch-palästinensische Volk existiert. Auch nach 60 Jahren, während derer es Schläge einstecken musste wie nur wenige andere Völker, hängt das palästinensische Volk in kaum zu überbietender Beharrlichkeit an seinem Land. Der Traum von einem gemeinsamen Leben in einem Staat jedoch ist gestorben, und er wird nicht mehr auferstehen. Allerdings habe ich keinen Zweifel, dass beide Staaten, wenn der palästinensische Staat entstehen wird, einen Weg finden und gemeinsam in enger Partnerschaft leben werden. Die Mauern werden fallen, die Zäune niedergerissen, die Grenzen geöffnet werden, und die Wirklichkeit des gemeinsamen Landes wird alle Hindernisse überwinden. Die Flaggen des Landes – zwei Flaggen zweier Völker – werden nebeneinander wehen.

Die UN-Resolution vom 29. November 1947 war eine der weisesten Entscheidungen in der Geschichte der Weltorganisation. Als jemand, der sie damals mit allen Fasern seines Herzens bekämpft hat, erkenne ich ihre Weisheit an.

(Haaretz, 29.11.07)

Uri Avnery, geb. 1923 in Beckum, ist Publizist und Friedensaktivist und war lange Zeit Abgeordneter der Knesset.

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