Offener Brief an Guido Westerwelle

„Ich schwöre der Gewalt ab!“

Von Henryk M. Broder

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Sehr geehrter Herr Dr. Westerwelle,

ich schreibe Ihnen, nachdem ich gelesen habe, dass Sie ein Rehabilitationsprogramm für Taliban mit 50 Millionen Euro co-finanzieren wollen. Damit soll "reuigen Taliban eine Ausstiegschance" gegeben werden, als Alternative zu ihrem bisherigen Beruf sollen ihnen "Jobs, Ausbildung und finanzielle Hilfen angeboten werden". Voraussetzung ist, "dass die Taliban der Gewalt und dem Terror abschwören, alle Kontakte zu al-Qaida abbrechen und die afghanische Verfassung anerkennen".

Ich halte das für keine abwegige Idee, auch wenn ähnliche Programme, die sich an deutsche Neonazis richteten, wegen mangelnder Nachfrage eingestellt werden mussten. Es könnte ja sein, dass afghanische Taliban praktischer und pragmatischer denken als deutsche Neonazis und sich eher korrumpieren lassen. Ich will jetzt auch nicht kleinlich rumnörgeln und fragen, wie Sie sich das Prozedere vorstellen, wie Sie zum Beispiel kontrollieren wollen, dass ein Taliban alle Kontakte zur al-Qaida abgebrochen hat. Reicht sein Ehrenwort oder müsste er eine notariell bestätigte Erklärung seines al-Qaida-Führungsoffiziers vorlegen, dass der Umgang eingestellt wurde?

Ich denke, das sind technische Fragen, die sich irgendwie lösen lassen. Dabei müsste auch sichergestellt werden, dass sich ein- und derselbe Taliban die "finanzielle Hilfe" nicht zweimal oder öfter abholt, wie das nach dem Fall der Mauer beim Begrüßungsgeld der Fall war. Es gibt ja kein zentrales Melderegister in Afghanistan und für uns, die wir gerade mal Heidi Klum von Heide Simonis unterscheiden können, sehen alle Taliban ziemlich gleich aus.

Nein, ich will Sie auf einen anderen Punkt hinweisen, den ich für wichtiger halte: So richtig es ist, Täter zu resozialisieren, noch richtiger wäre es, präventiv zu arbeiten, also dafür zu sorgen, dass es gar nicht zur Täterschaft kommt. Jeder Kriminalist, jeder Sozialarbeiter, jeder Familienberater weiß, dass Prävention der Schlüssel zum sozial verträglichen Verhalten ist. So wie bei der Geburtenkontrolle die Verhütung in jedem Fall der Abtreibung vorzuziehen ist.

Und da liegt die Schwachstelle Ihres Projekts. Sie wollen Taliban zum Ausstieg bewegen, sagen aber mit keinem Wort, wie Sie potentielle Taliban vom Einstieg abhalten möchten.

Deswegen möchte ich Ihnen ein Angebot machen.

Nach einer erfolgreichen Karriere als "Hassprediger" liebäugele ich schon eine Weile mit dem Gedanken, ein Taliban zu werden. Ich brauche Bewegung, frische Luft und – nachdem ich über 40 Jahre allein vor mich hin gearbeitet habe – die Erfahrung von Kameradschaft und Solidarität. Ich fürchte, dass ich für den Einsatz an der Front zu alt bin, aber ich könnte wichtige Aufgaben in der Etappe übernehmen. Ich kann kochen, backen, filmen, fotografieren und Karten lesen. Ich könnte als Animateur den Taliban beibringen, wie man "Mensch, ärgere dich nicht" spielt oder auch die "Reise nach Jerusalem". Ich könnte auch Vorträge über Lessings "Ringparabel" halten oder die Idee des "edlen Wilden" bei J.J. Rousseau und Karl May. Damit würde ich mit Sicherheit die Kampfmoral der Taliban stärken.

Ich könnte das alles aber auch sein lassen – wenn Sie mir ein attraktives Angebot machen und mich motivieren würden, kein Taliban zu werden.

Meine Forderungen sind maßvoll: ein Reihenhäuschen in Hamburg-Blankenese, allerdings mit unverstelltem Elbblick, ein VW Passat Combi mit je einem Satz Sommer- und Winterreifen, eine winterfeste Camping-Ausrüstung, eine Motoryacht von Aguti, eine Stereo-Anlage von Bang und Olufsen, ein iPod, ein iPhone und ein MacBook Air. Dazu eine Apanage von 2500 Euro monatlich, sozusagen als leistungsunabhängiges Grundeinkommen.

Das hört sich nach viel an, ist es aber nicht. Überlegen Sie bitte, was Sie dafür bekommen: die Garantie, dass ich kein Taliban werde. Ich schwöre der Gewalt ab, noch bevor ich ihr zugeschworen habe! Anders als bei den Taliban am Hindukusch wäre es in meinem Fall auch sehr einfach, meinen Ausstieg aus bzw. Nicht-Einstieg in die Taliban-Szene zu kontrollieren. Ich könnte mich zum Beispiel jeden Tag bei der Ortsgruppe der FDP melden.

Und falls keine vorhanden ist, bei den Weight Watchers.

Bitte überlegen Sie sich meinen Vorschlag. Ich meine es ernst. Und machen Sie mir ein Angebot, zu dem ich nicht Nein sagen kann. In unser aller Interesse, im Interesse des Friedens und der Sicherheit. Aber warten Sie bitte nicht zu lange. Ich habe mich auch bei der Schweizer Garde beworben.

Sie wissen doch: First come, first serve.

Mit ergebenem Gruß,

Ihr Henryk Taliban Broder

Die Quelle für diesen offenen Brief ist Der Spiegel . Siehe auch die Achse des Guten  und den Blog von Henryk M. Broder .

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