Die Zwanzigerjahre sind endgültig vorbei – jetzt ist kurz vor 1933

Gegen eine politische Auseinandersetzung ist nichts zu sagen – ganz im Gegenteil. Es darf eine scharfe Auseinandersetzung sein und manche Meinungen und Ziele sollen und müssen kompromißlos verdammt werden. Totalitär wird es aber immer dann, wenn diese Verdammung von der vertretenen Meinung auf den ganzen Menschen, auf seine Familie und sein gesamtes Umfeld übergreift.

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So weit sind wir heute. Niemand muß der falschen Ansicht zustimmen und sie unterstützen, um mit in den Bann gezogen zu werden, es reicht völlig aus, danebenzustehen und sie und ihre Vertreter nicht vollmundig zu verdammen. Natürlich gehört zu dieser Verdammnis ein vollständiger, demonstrativer Boykott der Menschen und ihrer Lebensgrundlagen zwingend dazu.

Das fängt erst einmal klein und harmlos an, z.B. mit dem Boykott einer Buchhandlung .

Dabei bleibt es aber nicht. Es hilft auch nichts, zu den Guten zu gehören und als Gewerkschaft die Interessen der Arbeiter zu vertreten – zumindest dann nicht, wenn sie nicht gegen das Kapital oder die Bonzen sondern die höheren Ziele der Avantgarde vertreten werden. Dann kennen die so in Frage Gestellten keine Gnade mehr. Mit den mächtigen Gewerkschaften selbst, von deren Fürsprache und Zuwendungen sie leben, legen sie sich (noch) nicht an, aber wehe jedem, der normale und unpolitische Geschäftsbeziehungen mit ihnen pflegt.

Neu ist das natürlich nicht. Heute heißt es #wirsindmehr aber die Methoden, mit denen Konformität erzwungen und Widerspruch unterdrückt wird, erlebte Wolfgang Leonhard schon 1942 bei den Lehrern und Vorbildern der heutigen Elite:

... und nun sei es die Pflicht aller anwesenden Genossen, „Stellung zu nehmen“.

Nacheinander sprachen alle Mitglieder unserer Gruppe. Alles verlief ganz planmäßig. Selbst meine besten Freunde mußten mich nun verdammen – und sie taten es. Der Inhalt war durch die Rede Wandels genau vorgezeichnet worden, und alle Angehörigen der Gruppe hielten sich daran. Nur der Tenor war etwas unterschiedlich. Einige wollten sich dadurch reinwaschen, daß sie mich noch schärfer verdammten, als Wandel selbst es getan hatte; andere ...

Einer der Studenten, der mich aus Freundschaft schonen wollte, erwähnte mich nicht, sondern versuchte die Angelegenheit „theoretisch“ zu behandeln und begann mit einer allgemeinen Betrachtung über die Gefährlichkeit schlechter Charaktereigenschaften. Aber es half ihm nichts. Er wurde von Wandel scharf unterbrochen und beschuldigt, den heute zur Debatte stehenden Fragen auszuweichen. So blieb auch diese Möglichkeit verschlossen.

Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder (1955)

Der Satz vom Zwang, die Geschichte wiederholen zu müssen, ist nicht neu. Als zusammenfassenden Schlußsatz seines großen Werkes über die Kultur und Werte des Westens schreibt der Historiker Ferguson:

Today, as then, the biggest threat to Western civilization is posed not by other civilizations, but by our own pusillanimity – and by the historical ignorance that feeds it.

Niall Ferguson: Civilization (2011)

Der Satz betrifft uns, denn wir sind offenbar die, die nichts gelernt haben. Die Chance, noch etwas ändern oder abwenden zu können, die auch damals in den zwanziger Jahren durchaus noch bestand, ist weitgehend vorbei – aber noch können wir nachlesen, was auf uns zukommen wird, und für uns und die uns nächststehenden die noch mögliche Vorsorge treffen. Einigen wenigen ist es auch damals halbwegs gelungen.

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