Von der Arbeit der Faktenchecker

2019-01-25

Die Lügenpresse lügt (XVII)

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Immer dann, wenn Menschen den Wunsch haben, etwas ganz bestimmtes zu hören, finden sich Erzähler, die genau das mit großer Überzeugung zu berichten wissen. Ein besonders prägnantes Beispiel sind die erfundenen Überlebenden und Zeitzeugen, die jahrelang unerkannt Besucher durch KZs geführt haben und neuerdings auch alternde, angeblich vor vielen Jahren von bekannten Prominenten belästigte Frauen. Es ist deshalb immer ernst zu nehmen, wenn Kritiker, wie hier die Faktenfinder der Tagesschau (auch abgelegt in meinen Fundstücken), behaupten einen Lügner entlarvt zu haben. In diesem Fall geht es um den Autor Shams Ul-Haq und sein Buch „Eure Gesetze interessieren uns nicht“. Genau dieses Buch habe ich vor kurzem gekauft und gerade gelesen.

Zunächst einmal klingt der Name des Autors – „Sonne der Gerechtigkeit“ – auffallend nach einem Pseudonym, ohne daß das irgendwo ausdrücklich gesagt wäre. Der Umfang der Recherche erscheint tatsächlich zu groß für den kurzen Zeitraum von zwei Jahren. Auf der anderen Seite haben wir hier einen muslimischen Autor, der seit Jahrzehnten über muslimische Themen schreibt und durchaus in erheblichem Umfang älteres Vorwissen einzubringen gekonnt haben dürfte. Er erwähnt zwar, hunderte Moscheen besucht zu haben – irgendwann einmal und ein Mal – aber seine Aussagen über längere Recherchen und Geldspenden beziehen sich erkennbar nur auf gerade mal ein Dutzend. Die anderslautend zitierten Behauptungen von Sigrid Herrmann-Marschall sind offensichtlich tendenziös, unbelegt und entweder frei erfunden oder schlampig und oberflächlich recherchiert.

Seit ich vor jetzt vierzig Jahren erstmals mit von Kommunisten gefälschten angeblichen RCDS-Flugblättern in Berührung kam, kann ich von mir behaupten, ein durchaus sicheres Gefühl für Textquellen zu besitzen. Für das besprochene Buch erkenne ich:

Dem Buch von Ul-Haq fehlt vollständig jedes Anzeichen auf einen Hochstapler. Mit zwei gut belegten Ausnahmen, arabisch und deutsch, behauptet er nicht, fremde Sprachen zu verstehen, und er sagt an vielen Stellen ausdrücklich, nichts verstanden und nur den Tonfall wahrgenommen zu haben. Nie nimmt er für sich selbst besondere Fähigkeiten oder Kenntnisse in Anspruch. Insbesondere in einem bezeichnenden Abschnitt erzählt er, wie er unerkannt im Nebenraum sitzend durch eine halboffene Tür ein geheimes Vorstandsgespräch belauschen konnte. Und was hat er gehört? Der Moscheeverein hat Geldsorgen – Big Deal. Der Koranunterricht für Frauen wird von jungen Konvertitinnen gehalten, die keine Ahnung haben, Skripte ablesen und viel falsches erzählen. Auch sonst ist das Buch vollständig frei von sensationellen Enthüllungen und ergeht sich in – klar als solche gekennzeichneten – Indizien und Vermutungen. Dieses Buch ist so frei von allen putativen Hochstapeleien und Münchhausiaden, daß es in meinen Augen als absout glaubwürdig anzusehen ist, dies um so mehr als eigentlich gar nichts überraschendes oder unbekanntes darinsteht.

Aber auf das Buch selbst, das ihre Leser in der Hand halten könnten, gehen die Faktenfinder denn auch gar nicht ein. Stattdessen tragen sie obskure, mühsam zu prüfende, angebliche Quellen zusammen:

So behauptet er als „Pakistan-Experte“ in einem Interview mit Vatican News, er kenne die in Pakistan wegen Blasphemie zunächst zum Tode verurteilte Christin Asia Bibi und habe sie persönlich besucht. Ihr pakistanischer Anwalt Saif Ul-Malook erklärt auf HR-Anfrage: Kein Journalist durfte Asia Bibi während ihrer Jahre in der Todeszelle in Pakistan besuchen. Und auch jetzt, wo sie freigesprochen unter Polizeischutz an einem geheimen Ort lebt, sei das nicht möglich.

Was steht in dem als Quelle genannten Interview wirklich?

Ich bin auch in Kontakt mit dem Mann von Asia Bibi.

Vatican News

Dieser Mann, der um die Freilassung seiner Frau kämpft, lebt in Großbritannien. Ich habe ihn selbst im Gespräch mit der BBC im Radio gehört. Fakten? Checker?

Der zweite Punkt ist die Stadt Leipzig. Es wird das Landesamt für Verfassungsschutz zitiert mit

Anzeichen, dass Kinder zu Terroristen herangezogen werden, gibt es laut Verfassungsschutz keine.

Davon war auch nie de Rede, sondern von der Ausbildung salafistischer Imame . Zwar ist auch die dem LfV nicht bekannt, angesichts der kleinen Gruppe aber auch viel leichter und unauffälliger zu verstecken.

Den Rest des Faktenchecks nehmen die Behauptungen von Sigrid Herrmann-Marschall ein. Ich kenne Bücher, in denen lauter Unwahrheiten stehen, und ich kenne fundierte Widerlegungen. Dies ist keine.

Ein abschließendes Wort noch zum Fall Claas Relotius.

Seine Preise sind eine Sache, lesenswert ist aber die Begründung der Jury des Deutschen Reporterpreises 2018:

Die Juroren würdigen einen Text „von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert.“

meedia.de und spiegel.de

In seiner Presseerklärung zum Fall schreibt Ullrich Fichtner für den Spiegel:

Bereits heute wird jeder Text, der im Spiegel gedruckt wird, parallel durch die Dokumentation bearbeitet, die alle Tatsachenbehauptungen auf ihre Korrektheit hin überprüft. Wenn Claas Relotius im August 2014, in seiner ersten großen SPIEGEL-Geschichte „Heim in die Hölle“ schreibt, die Stadt Marianna liege „eine gute Autostunde westlich von Tallahassee“ im Norden Floridas, dann hat ein SPIEGEL-Dokumentar überprüft, dass das genau so stimmt.

spiegel.de

Bei allem, was getan wird, ist es immer sinnvoll, die Frage nach dem Wozu zu stellen. Eine solche Kontrolle ist für den Inhalt eines Textes völlig irrelevant. Vielleicht stand der Autor auf dem Weg im Stau oder er hat schlicht vergessen, sich über eine so unbedeutende Nebensache Notizen zu machen. Sehr wohl aber ergibt genau diese Art der Kontrolle einen guten Sinn, wenn man unterstellt, die Redaktion erwarte, daß ein Artikel vielleicht frei erfunden sei. Dann geht es darum, es nicht auffallen zu lassen, und sie überprüft dann genau die Angaben, die schon ein Blick auf die Karte oder in Wikipedia erhellen könnte oder die der eine oder andere Leser vielleicht einfach so wissen kann. Wenn der historische und geographische Rahmen stimmt, hat ein Romanautor alle Freiheit entspannt zu fabulieren.

Vielleicht dem Zeitdruck geschuldet berichtet Fichtner erstaunlich offen über seinen Stil der Redaktionsarbeit:

Als Redakteur, als Ressortleiter, der solche Texte frisch bekommt, spürt man zuerst nicht Zweifeln nach, sondern freut sich über die gute Ware. Es geht um eine Beurteilung nach handwerklichen Kriterien, um Dramaturgie, um stimmige Sprachbilder. Es geht nicht um die Frage: Stimmt das alles überhaupt? [...]

[Relotius] liefert Meldungen, produziert verlässlich, immer in sehr guter Qualität, und er lernt schnell. Er nimmt Hinweise dankbar auf, verarbeitet Verbesserungsvorschläge in perfekter Manier, er setzt um, was Ressortleiter ihm raten, berät sich auch mit Kolleginnen und Kollegen über seine und deren Texte. Er hilft neuen Praktikanten beim Einstieg, er ist ein Kollege, auf den man sich freut im Büro.

spiegel.de

Warum nur kommt mir dieser Text so bekannt und vertraut vor? Ganz einfach: In nahezu denselben Worten schildert Günter Wallraff, „Der Mann der bei Bild Hans Esser war“, die Erwartungen seines damaligen Redaktionsleiters. Für ihn war das eine klare Aufforderung, zum Stil und der Richtung des Hauses passende Geschichten, mit scheinbar passenden Photos garniert, selbst zu erfinden.

Aber alles, was ihre Erwartungen erfüllt und in ihre Vorurteile paßt, sehen Faktenfinder natürlich nicht, egal wie sensationell und unwahrscheinlich es daherkommen mag.

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